Direkt zum Hauptbereich

FLORENCE FLANNERY

FLORENCE FLANNERY

 


FLORENCE FLANNERY

von

Marjorie Bowen

Erstmals veröffentlicht als "Florence Flannery-An Ornament in Regency Paste", 1924

SIE, die Florence Flannery gewesen war, bemerkte mit unachtsamem Auge die nassen Flecken auf der staubigen Treppe und suchte mit einem Blick, der an die Beobachtung von Häuslichkeiten nicht gewöhnt war, nach feuchten oder tropfenden Decken. Das schummrige Treppenhaus enthüllte nichts als noch mehr Staub, aber das würde als Aufhänger für schlechte Laune dienen, also schmollte Florence. "Ein kranker, schmutziger Ort", sagte sie, die Vergoldungen und Verzierungen und Spiegel, in denen sich Samtstühle spiegelten, liebte, und zappelte in das obere Gemach, wobei sie die Rüschenröcke verächtlich hochhob. Ihr Mann folgte ihr; sie waren seit einer Woche verheiratet, und es hatte nie ein Glück in ihrer wilden Leidenschaft gegeben. Daniel Shute suchte jetzt nicht danach; im Ekel vor dieser schleppenden Heimkehr fragte er sich, was ihn dazu bewogen hatte, diese Frau zu heiraten, und wie bald er sie zu hassen beginnen würde.

Als sie in dem großen Schlafzimmer stand, betrachtete er sie mit Abneigung; ihr kitschiger Charme vulgärer Hübschheit war einst für seine benommenen Sinne und seinen verwirrten Verstand reizvoll gewesen, aber hier, in seiner alten Heimat, umspült von der feinen Luft Devons, war sein Blick klarer, und sie erschien ihm grob wie eine Mohnblume am Ende des Augusts.

"Natürlich hasst du es", sagte er zynisch, während er sich mit den breiten Schultern gegen einen der Bettpfosten lehnte, die dicken Hände in den Taschen seiner engen Nankeen-Hose, und sein blondes Haar, das von der Reise zerzaust war, hing ihm über das gesprenkelte Gesicht.

"Es ist nicht die Wohnung, mit der du dich gerühmt hast", antwortete Florence, aber müßig, denn sie stand am Fenster und betrachtete die winzigen Bleiglasscheiben; die Herbstsonne schimmerte seitlich auf diesem Glas und hob einen Namen hervor, der dort eingeritzt war:

Florence Flannery.
Geboren 1500.

"Sehen Sie hier", rief die Frau aufgeregt, "das müsste meine Vorfahrin sein!"

Sie streifte einen großen Diamantring ab, den sie trug, und kratzte unter die Schrift die heutige Jahreszahl "1800". Daniel Shute kam und schaute ihr über die Schulter.

"Das liest sich seltsam - 'Geboren 1500' - als ob du sagen würdest, gestorben 1800", bemerkte er. "Nun, ich nehme nicht an, dass sie irgendetwas mit dir zu tun hatte, mein Charmeur, und doch hat sie dir Glück gebracht, denn erst durch die Erinnerung an diesen Namen hier bin ich auf dich aufmerksam geworden, als ich hörte, wie du genannt wirst."

Weiterlesen »
Zur Quelle wechseln

Bella
Ein Beitrag von Bella.
Email Marketing Powered by MailPoet

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

„Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern“

„Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern" „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern" Ein berühmter Satz aus dem Roman „Der Leopard" scheint die rettende Losung für eine sich rasant wandelnde Welt zu sein. Doch bei der Wiederlektüre erscheint der Satz immer rätselhafter. Was ...

Hans Holbein in New York: Schöne neue Welt des Medusenhumanismus

Hans Holbein in New York: Schöne neue Welt des Medusenhumanismus Hans Holbein in New York: Schöne neue Welt des Medusenhumanismus Was haben Holbeins Porträts mit Michelle Obama zu tun? Eine große Ausstellung in der New Yorker Morgan Library erhellt die Virtuosität dieses Künstlers. Quelle: FAZ.NET Kategorie: Kultur ...

Ode an die Karotte oder Wie alles mit allem zusammenhängt: Jan Wagners Lyrikband „Steine & Erden“

Ode an die Karotte oder Wie alles mit allem zusammenhängt: Jan Wagners Lyrikband „Steine & Erden" Ode an die Karotte oder Wie alles mit allem zusammenhängt: Jan Wagners Lyrikband „Steine & Erden" In seinem neuen Lyrikband „Steine & Erden" bohrt Jan Wagner tief im Erdreich – und stößt dabei auf allerlei Wurzeln und Unterströmungen. Quelle: FAZ.NET Dein Kommentar: Kategorie: ...